Vereinigung Cockpit: Beförderung von Deportees unter Hinweis auf das rechtsstaatliche Verhältnismäßigkeitsprinzip verweigern!

Februar 2001: Abschiebungen

Seit geraumer Zeit beschäftigt sich die Vereinigung Cockpit mit dem Problem der Abschiebungen (im Fachjargon „Rückführungen“ genannt). Zu dem Thema wurden mehrere Presseerklärungen herausgegeben bzw. Artikel in der VC-Info veröffentlicht. Bis heute ging man – was die juristischen Verantwortlichkeiten bei Verletzung oder Tod des Abzuschiebenden angeht – davon aus, dass der verantwortliche Luftfahrzeugführer (Kommandant) eine Beförderung nur dann ablehnen kann, wenn eine konkrete Gefährdung der Sicherheit des Fluges absehbar ist.
Man unterstellte, dass durch Fesselung oder angemessenen Begleitschutz durch Beamte der Polizei- oder Grenzschutzbehörden eine solche Gefährdung ausgeschlossen werden könne. Ebenso nahm man an, dass für Handlungen der begleitenden Beamten, durch welche der Rückzuführende Schaden erleidet, der Kommandant nicht zur Verantwortung gezogen werden könne.
Aufgrund der Antwort des Bundesinnenministeriums auf eine Kleine Anfrage der PDS im Deutschen Bundestag (BT-Drucks. 14/1454 vom 27. Juli 1999) hat sich die herrschende Meinung dahin geändert, dass Beamte der staatlichen Organe an Bord von Luftfahrzeugen der aus § 29 Abs. 3 LuftVG resultierenden Polizeigewalt des verantwortlichen Luftfahrzeugführers unterliegen. Mit dem Schließen der Außentüren verlieren sie ihre hoheitlichen Kompetenzen. Befindet sich das Luftfahrzeug außerhalb des deutschen Hoheitsgebietes, erlischt die polizeiliche Hoheitsmacht ohnehin. Eine Fortgeltung derselben ist – im Gegensatz zur Polizeigewalt des verantwortlichen Luftfahrzeugführers – weder in multilateralen Abkommen festgelegt noch gewohnheitsrechtlich aufgrund des Völkerrechts anerkannt. Bilaterale Abkommen über die Fortgeltung der hoheitlichen Befugnisse von Beamten in oder über femdem Staatsgebiet gibt es nur zwischen wenigen Staaten.
Ausgehend vom Verlust der polizeilichen Befugnisse der Beamten bedient man sich nunmehr des so genannten „Delegationsmodells“. Hierbei delegiert der verantwortliche Luftfahrzeugführer seine Polizeigewalt auf die Beamten. Unproblematisch ist dies in den Fällen, in denen der Abzuschiebende sich zunächst ruhig verhält und erst während des Fluges gewissermaßen zum Unruly Passenger wird. Hier gelten dann die allgemeinen Grundsätze zur Gefahrenabwehr, wie sie auch für „normale“ Vorfälle mit Unruly Passengers anwendbar sind.
Schwieriger wird es, wenn der Abzuschiebende bereits unter Anwendung von Zwang (zum Beispiel Fesselung) an Bord des Luftfahrzeuges gebracht wird. Da, wie oben dargestellt, die Beamten nur über eine vom verantwortlichen Luftfahrzeugführer abgeleitete Hoheitsgewalt verfügen, die notwendigerweise nicht über dessen Hoheitsgewalt hinausgehen kann, stellt sich die Frage, ob dieser im Rahmen seiner Polizeigewalt die Befugnis hat, Rückführungen zwangsweise durchzusetzen.
Dies ist zu verneinen, da sich die Befugnisse des verantwortlichen Luftfahrzeugführers nach nationalem und internationalem Recht darauf beschränken für die Sicherheit und Ordnung des Fluges zu sorgen. Hierzu hat er gemäß dem rechtsstaatlichen Prinzip der Verhältnismäßigkeit das mildeste Mittel anzuwenden. Ist bereits vor Flugantritt abzusehen, dass Sicherheit und Ordnung nur unter Zwangsanwendung aufrechterhalten werden können, ist das mildeste Mittel, den Abzuschiebenden nicht an Bord zu nehmen. Dies ergibt sich auch aus Artikel 7 des Tokioter Abkommens. Dort steht, dass unmittelbarer Zwang nur bis zum Ort der nächsten Zwischenlandung aufrechterhalten werden darf.
Wenn die Befugnisse der Begleitbeamten vom Kommandanten abgeleitet werden, ist dieser auch im rechtlichen Sinn verantwortlich, sollte der Abschübling Schaden erleiden. In diesem Sinne wurden in letzter Zeit Strafverfahren gegen mehrere Flugkapitäne angestrengt, auf deren Flügen Rückzuführende zu Schaden oder gar zu Tode kamen. Dies stellt für die an Abschiebungen beteiligten Flugkapitäne ein unkalkulierbares rechtliches Risiko dar.
Die Vereinigung Cockpit rät deshalb ihren Mitgliedern, sich nur noch an Abschiebungen zu beteiligen, bei denen der Abschübling freiwillig fliegt. Dies entspricht der Policy des Weltpilotenverbandes IFALPA, der die Begriffe „willing to travel“ bzw. „not willing to travel“ eingeführt hat. Die Freiwilligkeit kann schon dann verneint werden, wenn der Abzuschiebende unter Zwangsanwendung an Bord gebracht wird, also etwa gefesselt oder sediert (unter dem Einfluss von Beruhigungsmitteln). Auch die Begleitung durch übermäßig viele Polizeibeamte impliziert die Unfreiwilligkeit. Am sichersten lässt sich die Freiwilligkeit dadurch ermitteln, dass man die Person befragt. Fällt der Abschübling in die Kategorie „not willing to travel“, sollte die Beförderung unter Hinweis auf das rechtsstaatliche Verhältnismäßigkeitsprinzip verweigert werden.
Ergänzend sei an JAR-OPS 1.265 erinnert:
„Der Luftfahrtunternehmer hat Verfahren für die Beförderung von Fluggästen, denen die Einreise verwehrt wurde (inadmissible passengers), von zwangsweise abgeschobenen oder in Gewahrsam befindlichen Personen (deportees or persons in custody) festzulegen, um die Sicherheit des Flugzeuges und seiner Insassen zu gewährleisten. Der Kommandant muss benachrichtigt werden, wenn solche Personen befördert werden sollen.“
Natürlich reicht es im Sinngehalt dieser Vorschrift nicht aus, wenn dem Kommandanten kurz vor dem Einsteigevorgang lediglich mitgeteilt wird, dass an Bord seines Fluges eine Abschiebung stattfinden soll. Die Informationen müssen rechtzeitig vorliegen und so umfangreich sein, dass dem Kommandanten eine Risikoabschätzung ermöglicht wird. Im Flugbetriebshandbuch einer großen deutschen Fluggesellschaft ist dies so geregelt:
Nach deutschem Recht haben Polizei oder Bundesgrenzschutz keine Möglichkeiten den Kommandanten zur Beförderung des Abzuschiebenden zu zwingen, indem etwa die Startgenehmigung verweigert wird. Solche Maßnahmen sind nur zulässig zur Gefahrenabwehr.

Klaus G. Meyer
Vereinigung Cockpit e.V. 2001

Dokumentation: Die VC im September 1999:

Problem Abschiebungen: Die rechtliche Position des Pilot in Command

Aufgrund mehrerer Anfragen aus dem Kreis der Mitglieder der Vereinigung Cockpit und vonVertretern der Presse zur Problematik von Rückführungen (Abschiebungen) wurde vom Verband der Verkehrsflugzeugführer/innen und Flugingenieure bereits Mitte 1995 eine rechtsgutachterliche Stellungnahme in Auftrag gegeben. Dieses Gutachten bestätigt das Ergebnis eines Musterverfahrens, das von einem Mitglied der Vereinigung Cockpit gegen eine Fluggesellschaft geführt worden war.
Demnach ergibt sich folgende rechtliche Bewertung:
Grundsätzlich hat der verantwortliche Luftfahrzeugführer davon auszugehen, dass der öffentlich rechtliche Akt der Rückführung rechtmässig ist. Eine rechtliche Prüfung steht ihm insoweit nicht zu.
Ebensowenig ist eine Ablehnung der Beförderung aus Gewissensgründen zulässig. Dies wäre eine Arbeitsverweigerung mit der Möglichkeit arbeitsrechtlicher Sanktionen durch den Arbeitgeber.
Lediglich im Rahmen seines Rechtes, die zur Aufrechterhaltung der Sicherheit und Ordnung an Bord erforderlichen Massnahmen zu ergreifen, hat der verantwortliche Luftfahrzeugführer die Möglichkeit, eine Beförderung abzulehnen. Hier sind jedoch sehr enge Grenzen gesetzt. So muss eine konkrete Gefährdung der Sicherheit und Ordnung an Bord gegeben sein, die auch nicht durch andere Massnahmen beseitigt werden kann (z.B. Fesselung oder Überwachung durch Begleitpersonen).
Sollte ein Rückzuführender durch Beamte des Bundesgrenzschutzes begleitet werden, verlieren diese mit dem Schliessen der Aussentüren des Luftfahrzeuges ihre polizeilichen Befugnisse. Sie unterstehen dann der Kommandogewalt des verantwortlichen Luftfahrzeugführers. Der dienstliche Auftrag der Beamten bleibt jedoch bestehen, und sie sind weiter ihren polizeilichen Dienstvorschriften verpflichtet. Der verantwortliche Luftfahrzeugführer bedient sich gewissermassen der Beamten, was die Beaufsichtigung des Rückzuführenden betrifft. Er muss und darf sich hierbei auf die Fachkompetenz des Beamten verlassen, der für diese Aufgabe ausgebildet ist. Vergleichbar ist dies mit einer Situation, in der ein an Bord anwesender Arzt vom verantwortlichen Luftfahrzeugführer mit der Behandlung eines erkrankten Fluggastes betraut wird. Auch hier haftet der verantwortliche Luftfahrzeugführer nicht für Fehlleistungen des Arztes.
Die Beamten können in diesem Zusammenhang auch ohne ausdrückliche Ermächtigung des verantwortlichen Luftfahrzeugführers alle notwendigen Massnahmen ergreifen. Ohnehin kann gemäss Artikel 6, Absatz 2 des Tokioter Abkommens jede Person an Bord ohne ausdrückliche Ermächtigung tätig werden, soweit dies zur Aufrechterhaltung der Sicherheit und Ordnung erforderlich ist.
Gemäss Artikel 10 des Tokioter Abkommens kann keine Person, auch nicht der verantwortliche Luftfahrzeugführer, für die - in diesem Kontext - ergriffenen Massnahmen zur Verantwortung gezogen werden. Im deutschen Recht tritt die Amtshaftung nach Artikel 34 Grundgesetz, § 839 BGB ein, da der verantwortliche Luftfahrzeugführer hoheitlich handelt. Haftbar ist dann die Bundesrepublik Deutschland.
Die VC rät also ihren Mitgliedern, eine Rückführung nicht abzulehnen oder zu behindern soweit absehbar ist, dass die Sicherheit und Ordnung an Bord aufrecht erhalten werden kann.
Frankfurt a.M., den 8. September 1999

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