international bordercamp strasbourg

Bordercamping2002: Jena, Germany

Camp 02 - a new challenge! For Free Movement! kein mensch ist illegal!

this item is available in: [en] [de] [fr]

30.Nov.99 - Vom 12. bis zum 19. Juli 2002 findet in Jena/ Thüringen das 5. antirassistische Grenzcamp statt. Wir werden Jena eine Woche lang mit unserem Besuch beehren, um zum nunmehr fünften Mal theoretisch wie praktisch rassistische Verhältnisse anzugreifen. Konfrontative Aktionen, Diskussionen über Perspektiven antirassistischer und linksradikaler Politik, Auseinandersetzungen um verschiedene Lebensrealitäten, ihr Zusammenhang mit gesellschaftlichen Machtverhältnissen und schliesslich die gemeinsame Organisierung des Camp-Alltags stehen auf dem Programm.
"Reclaim the Highway" wird es dann im Anschluss an das Camp heissen, wenn sich ein Konvoi auf den Weg von Jena nach Strasbourg zum internationalen no-border Camp macht.

Nach dem letztjährigen Camp in der "westlichen Metropole" in unmittelbarer Nähe des Frankfurter Airports, kehren die Zelte für dieses Jahr in die "östliche Provinz" zurück. "Die inneren Grenzen im Visier", dieser für Frankfurt kreierte Slogan, behält allerdings seine Aktualität. Denn einer unserer Schwerpunkte wird die Thematisierung der alltäglichen Isolation und Ausgrenzung von Flüchtlingen sein, ihre prekäre Lebenssituation in den sogenannten Heimen und die ständigen rassistischen Kontrollen - zumeist auf Grundlage der sogenannten "Residenzpflicht". Gerade im ländlichen Thüringen mit seiner relativ homogenen mehrheitsdeutschen Bevölkerung wirkt die Kontrolldichte und Isolation noch repressiver als in den Metropolen, die durch eine längere Migrationsgeschichte zumindest einen relativen Schutzraum bieten. Die Normalität der Isolation, Kriminalisierung und Marginalisierung von Flüchtlingen und MigrantInnen soll zumindest für eine Woche durchbrochen und lautstark mit unserem Widerspruch konfrontiert werden. Die Verweigerung grundlegender Menschenrechte wie z.B. von "freedom of movement" und des Rechtes auf politische Betätigung, alltägliche symbolische und physische Gewalt gegen Flüchtlinge und MigrantInnen werden genauso wie der Ausschluss vom gesellschaftlichen Reichtum Ziele unserer Intervention sein.
Das heisst also, dass wir die rassistischen Verhältnisse nicht in ihrer Gesamtheit aus den Augen verlieren werden, denn Rassismus reduziert sich für uns nicht ausschließlich auf staatliche Restriktionen. Vielmehr besteht ein wechselseitiges Abhängigkeitsverhältnis zwischen staatlichem und gesellschaftlichem Rassismus; erst aus diesem erwächst eine rassistische Hegemonie, d.h. jener Zustand, in welchem rassistische Wahrnehmungs- und Handlungsmuster so viel Zustimmung und so wenig Widerspruch erfahren, dass sich ein feinmaschiges rassistisches Netz auf individueller, struktureller und staatlicher Ebene weben kann. Dieses stellt sich vielfältig dar: Nichteingreifen von Passagieren und des Flugpersonals bei Abschiebungen in Linienflugzeugen, Unterschriftensammlungen gegen die doppelte Staatsbürgerschaft, Denunziation an den Grenzen, rassistische Diskriminierung auf dem Wohnungs- und Arbeitsmarkt, Abhängigkeit des Aufenthaltstitels von deutschen EhepartnerInnen und häufig damit verbundene Gewaltverhältnisse, insbesondere für Frauen.
Ein weiteres Element dieses rassistischen Netzes ist das Ineinandergreifen rassistischer Zuschreibungen mit der Kategorisierung von Menschen nach ihrer Verwertbarkeit im Rahmen der sogenannten Einwanderungsdebatte. Die BRD ist mit dem neuen "Zuwanderungs"- Gesetz europäische Vorreiterin bei der Kombination von der Auswahl von MigrantInnen nach Nützlichkeitskriterien sowie gleichzeitiger Abschottung. Die Regelung der Arbeitsmigration orientiert sich an wirtschaftlichen, d.h. kapitalistischen Erfordernissen. Nach Bedarf erhalten die Einen zeitlich streng befristete Aufenthaltsgenehmigungen unter vielfältigen Auflagen. Den Anderen wird die Einreise bzw. die Erlangung eines gesicherten Aufenthaltsstatus noch unmöglicher gemacht als bisher: geplant ist die Einrichtung von sogenannten Ausreisezentren (was einer Ausweitung der Abschiebehaft gleichkommt), die Abschaffung der Duldung, keine unbefristete Gewährung von Asyl, sondern eine permanente Abschiebedrohung durch erneute Prüfungen, etc. Konsequenz dieser Politik ist eine vermehrte Illegalisierung von MigrantInnen, die dadurch umso besser ausbeutbar sind.

Die Entscheidung, das Camp dieses Jahr in Jena stattfinden zu lassen, ist als Schritt zu verstehen, die Dominanz von weißen, mehrheitsdeutschen AntirassistInnen zu brechen, um in Kooperation mit selbstorganisierten Flüchtlingsgruppen eine antirassistische transidentitäre Organisierung voranzutreiben. Das heißt: Einerseits wollen wir die unterschiedlichen Erfahrungshintergründe nicht aus den Augen verlieren, schliesslich sind Flüchtlinge, deutsche Weisse und MigrantInnen qua rassistischer Verhältnisse unterschiedlichen Bedingungen ausgesetzt. Andererseits wollen wir die unterschiedlichen Identitäten, die sich u.a. hierdurch herausbilden, nicht einfach akzeptieren. Denn es sind, wie gesagt, rassistische Verhältnisse, d.h. rassistische Ein- und Ausschlussmechanismen, die hinter diesen Zusammenhängen stecken. Worum es geht ist also Identitätsmauern anzugreifen; wir wollen Schnittmengen ausloten, schauen, wo eine gemeinsame politische Arbeit Räume öffnet - und das jenseits von Instrumentalisierung (ob karitativ, paternalistisch, in der Projektion...). In diesem Sinne werden wir dieses Jahr unser Bestes versuchen, eine stärker gleichberechtigte Vorbereitung und Organisierung des Camps zu erreichen. Themen werden unter anderem Nähen und Distanzen zwischen refugees und nonrefugees sowie die Fortführung der auf dem letzten Camp in Frankfurt/Main intensivierten Debatte zur Verschränkung von Rassismus und Sexismus sein.
Gleichzeitig greifen wir mit der Entscheidung für Thüringen die Kampagne "for free movement" gegen die Residenzpflicht und die Forderung nach gleichen Rechten für Flüchtlinge und MigrantInnen auf. Die Abschaffung der Residenzpflicht ist eine von mehreren Vorraussetzungen für die gleichberechtigtere politische Zusammenarbeit zwischen Mehrheitsdeutschen und Flüchtlingen. Als solche steht sie im Kontext des Widerstandes gegen "innere Grenzen" und weltweit ungleich verteilter Bewegungsfreiheit.

Wie auch in den Jahren zuvor werden wir wieder den Blick über den Tellerrand wagen, um die Verschränkung der unterschiedlichen Macht- und Herrschaftsverhältnisse zu begreifen, gemeinsame politische Strategien zu entwickeln und die verschiedenen Kämpfe in Beziehung zu setzen. Anknüpfungsfelder sind z.B. die antirassistischen Kämpfe in Europa und weltweit: ob die Demontage der Zäune des Internierungslagers in Woomera und die Unterstützung des anschliessenden kollektiven Ausbruchs, die Karawane für die Rechte von Flüchtlingen und MigrantInnen, die no-border Camps im ostpolnischen Bialystok/ Krynki und im südspanischen Tarifa; oder die Renaissance der antikapitalistischen Politik im Windschatten der sogenannten Antiglobalisierungsbewegung, antisexistische Kämpfe für die Rechte illegalisierter (Sex-) Arbeiterinnen, Antifaschismus und Aktionen gegen Antisemitismus.
Diese Vielfalt ist unser Vorteil, denn so wie zu den letzten Camps dürften auch diesmal Menschen aus unterschiedlichen politischen Spektren kommen, die sich fragen sollten, was sie miteinander zu tun haben können. Im diesjährigen Camp soll daher ein Schwerpunkt auf der Ermöglichung gemeinsamer Kommunikation an Stelle des vielfach beklagten Nebeneinanderher einzelner Gruppen oder Teilszenen liegen. Wir werden dabei eine für möglichst viele verstehbare Sprache benutzen, um Verständigungsschwierigkeiten und die dadurch entstehenden Wissens- und Machthierarchien abzubauen. Deshalb schlagen wir Zweisprachigkeit oder Englisch als Campsprache vor. Trotzdem wollen wir nach unseren Möglichkeiten für alle vertretenen Sprachen Übersetzung organisieren. Zudem bietet und bildet das Camp vielfältige Räume, sich untereinander und nach außen mitzuteilen: beim Planen gemeinsamer Aktionen, fast jederzeit im Plenumszelt, bei Reclaims in den Städten, bei pink-silver-Happenings, bei öffentlichen Veranstaltungen und Workshops, beim Chillen in der Camp-Bar, bei Kommunikationsguerilla-Mitteilungen, selbstverständlich rund ums Info-Zelt, beim Köpfen von Gartenzwergen, gemüseschnippelnd bei der Freiluft-Vokü oder wo sonst auch immer ihr das wollt.

In der Hoffnung darauf, durch das Zusammenkommen für diese 8 Tage im Sommer mehr politische Handlungsfähigkeit zu erlangen, Netzwerke zu bilden und neue Ansätze in die Städte und Regionen zurückzutragen, laden wir hiermit alle Interessierten ein, sich am Grenzcamp 2002 zu beteiligen und einzubringen. Informiert Euch und andere, macht den Termin bekannt, streitet mit, mobilisiert, bereitet eigene Aktionen vor und was euch sonst noch einfällt!

[Webseite des Jenaer Grenzcamps]