Deportation Class
    Frankfurter Rundschau 25.05.2001

Sitzblockade auf dem Datenhighway

Von Anke Schwarzer

Die vermutlich erste Demo im Internet: Abschiebungsgegner wollen die Homepage der Lufthansa lahmlegen
Nicht nur Unternehmen verlagern zunehmend ihre Aktivitäten ins Internet: Menschenrechtsaktivisten antworten mit E-Protest auf den E-Commerce. Am Tag der Lufthansa-Aktionärsversammlung in Köln, am 20. Juni, wollen die Initiativen Kein Mensch ist illegal (KMII) und Libertad vor dem Web-Portal der Lufthansa AG online demonstrieren.
"Wenn Konzerne, die mit Abschiebungen Geld verdienen, ihre größten Filialen im Internet aufbauen, muss man auch genau dort demonstrieren", so die beiden Initiativen in einem gemeinsamen Aufruf. Die geplante Online-Demonstration ist Teil einer Kampagne, die das Image von Lufthansa ankratzen soll und die KMII bereits seit zwei Jahren mit Aktionen in Reisebüros, Flughäfen und im Internet betreibt. Sie richtet sich gegen die Beteiligung der Lufthansa an Abschiebungen. Das bundesweite Netzwerk antirassistischer Gruppen und Kirchenasyl-Initiativen wurde im Jahr 1997 auf der Documenta X in Kassel gegründet.

Die Online-Demonstranten wollen, ähnlich wie bei einer Sitzblockade vor einem Werkstor, den Zugang der Lufthansa-Homepage verriegeln. Dafür stellen die beiden Initiativen auf ihren Internetseiten (etwa: http://stop-depclass.scene.as) eine Software zur Verfügung, die automatisch Anfragen an die Lufthansa-Seite schickt. Der Plan der Abschiebegegner: Am 20. Juni von 10 Uhr an greifen mehrere tausend Demonstranten weltweit und zeitgleich auf die Lufthansa-Websites zu. Der Datensturm, so hoffen die Initiatoren, überfordert den Großrechner und blockiert diesen für kurze Zeit. Dabei sollen Daten weder zerstört noch gestohlen werden. Die Aktion unterscheide sich von den Hacker-Angriffen gegen Yahoo und CNN im Frühjahr 2000, sagt Anne Morell, eine der Organisatorinnen der Online-Demonstration. Die Demonstration sei angekündigt und die Protest-Software im Internet offengelegt. Die Blockade sei weniger eine Frage der Technik, sondern hänge davon ab, dass sich viele Menschen beteiligen.

Hackerangriffe gegen Regierungsportale und Web-Seiten privater Firmen gibt es immer wieder; auch politische Demonstrationen hat die Welt schon viele gesehen. Neu an dem geplanten Vorhaben ist, dass ein Hackerangriff angekündigt und vorschriftsmäßig beim Ordnungsamt Köln als Demonstration angemeldet wird.

"Ein Unternehmen wie Lufthansa hat selbstverständlich Vorkehrungen gegen terroristische Hackerschläge getroffen", so Lufthansa-Sprecher Thomas Jachnow. Michael Dickopf, Sprecher des Bundesamts für Sicherheit in der Informationstechnik (BSI) in Bonn ist skeptisch: Eine solche Attacke abzuweisen sei "ungeheuer schwierig", so der Computerexperte. Das Unternehmen könne sich gegen den Angriff nur schützen, wenn es die komplette Web-Seite dicht mache, so Dickopf. Die vielen Zugriffe verkrafte der Rechner nicht.

Ein technischer Schutz, beispielsweise in Form einer sicheren Software sei noch nicht in Sicht. "Wir befinden uns in einem Dilemma", sagt Dickopf. Einerseits beruhe das Internet strukturell auf dem offenen Zugang für alle, andererseits müsse aber auch ein störungsfreier Ablauf gewährleistet werden.

Die Lufthansa prüfe bereits juristische Schritte, um gegen "die äußerst aggressive Initiative" vorzugehen, sagt Lufthansa-Sprecher Jachnow. Die Vorwürfe von KMII weist er von sich: Das Unternehmen sei dazu verpflichtet, Personen, die nach einem rechtsstaatlichen Verfahren abgeschoben werden müssen und ein gültiges Ticket haben, zu befördern.

Insbesondere der Tod von Aamir Ageeb während einer gewaltsamen Abschiebung in einer Lufthansa-Maschine hatte zu Protesten gegen die Fluglinie geführt. Am 28. Mai 1999 erstickte der Sudanese an Bord der Lufthansa-Maschine LH 558, nachdem ihn drei Grenzschutzbeamte gefesselt und ihm einen Motorradhelm aufgesetzt hatten. Ageeb ist bereits das zweite Todesopfer in einer Lufthansamaschine.

Rund 35 000 Personen hat der Bundesgrenzschutz im Jahr 2000 abgeschoben, fast die Hälfte davon, so schätzt KMII, mit der Lufthansa. Das Flugunternehmen selbst nennt weder Zahlen noch Schätzungen.

Seit dem letzten Todesfall 1999 befördert die Lufthansa nach eigenen Angaben keine Personen, die "erkennbar" Widerstand leisten. "Wir wollen vermeiden, dass die Abschiebung auffällt und den anderen Fluggästen unangenehm aufstößt", sagt der Lufthansa-Sprecher. Die Initiative aber verlangt von der Lufthansa die Garantie, vor jedem Abflug zu prüfen, ob Passagiere mit dem Flug einverstanden sind. Laut KMII ist eine solche Prüfung bereits Praxis der belgischen Fluggesellschaft Sabena. Die Fluglinie zog damit die Konsequenz aus dem Tod der 20-jährigen Nigerianerin Semira Adamu, die im September 1998 an Bord einer Sabena-Maschine während einer gewaltsamen Abschiebung erstickt wurde.
"Das Luftverkehrsgesetz besagt lediglich, dass jeder, der einen Personentransport mit dem Flugzeug wünscht, auch zugelassen werden muss. Die Beförderungspflicht hat aber nicht zum Inhalt, dass Menschen, die nicht fliegen wollen, auch geflogen werden müssen", ist der Standpunkt von KMII.

Auch die Pilotenvereinigung Cockpit empfiehlt ihren Mitgliedern, nicht an "unfreiwilligen Abschiebungen" mitzuwirken. Da der Flugkapitän die Bordgewalt - auch gegenüber dem Bundesgrenzschutz - habe, hafte er möglicherweise bei Verletzungen oder dem gewaltsamen Tod von unfreiwilligen Passagieren.

Ob der virtuelle Kranich am 20. Juni tatsächlich offline geht, ist ebenso unklar wie die juristische Bewertung der Blockade als Online-Demonstration. Die Lufthansa jedenfalls sehe der Online-Demonstration "mit äußerster Gelassenheit" entgegen, so ihr Sprecher Jachnow.

Sehr entspannt gehen auch die Aktivisten mit den angedrohten juristischen Konsequenzen um. Es gebe keinen Grund dafür, dass ein demokratisches Grundrecht im Internet außer Kraft gesetzt werden könne, sagt Sven Meier von der Gruppe Libertad. "Der Cyberspace ist ein weiterer öffentlicher Raum des digitalen Zeitalters, in dem - wie in den Städten und Straßen - nicht nur die Geschäftsbeziehung statt findet, sondern auch die sozialen und politischen Konflikte ausgetragen werden."